Das Pfingstwochenende habe ich dazu genutzt, mein Gefrierfach abzutauen. Ich habe in den letzten Monaten viel gearbeitet, war oft unterwegs und nur selten (und wenn, dann nur kurz) zu Hause. Während ich sehr beschäftigt war, hat sich in meinen Gefrierfach still und heimlich ein ziemlich großer Eisblock gebildet (wobei „ziemlich“ so etwas wie die Untertreibung des Jahres ist – er war dermaßen groß, dass nicht einmal mehr eine Packung Tiefkühlspinat Platz hatte!). Ihr könnt Euch wahrscheinlich vorstellen, mit welcher Begeisterung und mit welchem Enthusiasmus ich an diese Aufgabe herangegangen bin, denn das Abtauen des Gefrierfaches gehört nun wahrlich nicht zu den Traum – Tätigkeiten meiner schlaflosen Nächte. Aber gut. Was sein muss, muss eben sein. Ganz ehrlich: Ich habe den Prozess des Abtauens unterschätzt. Natürlich dachte ich, der Eisblock verschwindet – zack, zack – innerhalb weniger Stunden. Im Endeffekt hat es zwei Tage (48 Stunden!) lang gedauert, bis auch das letzte Stück Eis geschmolzen war. Und während dieser Zeit ist mit mir etwas passiert. Auch in mir ist etwas geschmolzen. In der letzten Zeit war ich oft ziemlich schlecht gelaunt und aufbrausend. Ich dachte, mein voller Terminkalender wäre der Grund dafür, aber in den letzten Tagen habe ich erkannt, dass dies nur eine Ausrede war für den wirklichen Grund: Ich war in Wahrheit nämlich traurig. Traurig darüber, dass ich mir in den letzten Monaten zu wenig Zeit für meine Freundinnen und für meine Familie genommen hatte und mich deshalb ein bisschen einsam fühlte, traurig, weil mein Freund (wir führen meistens eine Fernbeziehung) weggeflogen ist. Ich war traurig darüber, dass ich sehr oft eine Vorstellung davon habe, wie Dinge sich entwickeln sollen und dass sie sich meistens nicht so entwickeln, wie ich mir dies vorgestellt habe. Und als ich nun also vor meinem großen Eisblock saß und zusah, wie er langsam schmolz und in den großen Eimer, den ich untergestellt hatte, abtropfte (tropf – tropf—– tropf) wurde mir klar: Ich neige dazu, Traurigkeit durch Wut auszudrücken. Anstatt zu weinen, fluche ich. Anstatt mich jemanden anzuvertrauen, grenze ich mich ab. Anstatt jemand anderen um Hilfe zu bitten, tue ich so, als könnte nichts auf der Welt mich umhauen und als würde ich niemanden brauchen. In mir hatte sich in der letzten Zeit ebenfalls ein kleiner Eisblock gebildet, der mich von den Menschen, die mir von Herzen wichtig sind, trennte. Dies erkannte ich beim Betrachten meines Eisblockes und während er friedlich zerfloss, begannen bei mir die Tränen zu fließen. Ich weinte und tat mir schrecklich leid – bis plötzlich alles gut war. Das Eis war geschmolzen und das Gefühl der Weichheit war wieder da. Weichheit ist der Ausdruck wahrer Stärke, davon bin ich nach diesen Tagen vor dem Gefrierfach mehr denn je überzeugt.
Weichheit hat etwas mit Hingabe zu tun und Hingabe finde ich wunderschön. In meinem Ich Kraft – Buch habe ich das Gleichnis vom offenen Haus niedergeschrieben; eine Geschichte, die für mich am allerbesten zeigt, wie stark wir sind, wenn wir uns hingeben und unsere Weichheit und Verletzlichkeit zulassen:
Die Geschichte handelt von einer alten Frau, die in einem kleinen Dorf an der Küste lebte. Eines Tages kündigte sich ein außergewöhnlich heftiger Orkan an. Die Dorfbewohner verriegelten, von der Angst um ihr Eigentum angetrieben, ihre Häuser. Um die Wellen aufzuhalten, nagelten sie hektisch alte Holzbretter an Fenster und Türen und verließen das Dorf, welches nun einer Festung glich. Alle Häuser waren dicht gemacht worden, nur die alte Frau hatte nicht die Kraft, ihre Fenster und Türen zu verbauen, und ließ sie offen. Nachdem der Orkan über das Dorf hinweggefegt war, kehrten die Bewohner zurück. Der Sturm hatte eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Alle Häuser waren zur Gänze zerstört und dem Erdboden gleichgemacht worden – bis auf eines: jenes der alten Frau. Ihr Haus war das einzige, dessen Grundmauern noch standen. Da sie den Wellen kein Hindernis in den Weg gestellt hatte, konnten diese auch keines niederreißen; ohne gegen Widerstände ankämpfen zu müssen und den Druck dadurch zu vergrößern, flossen die Wassermassen einfach durch das Haus hindurch.
Wir können die Wellen des Lebens nicht aufhalten. Ich Kraft bedeutet, zu unterscheiden zwischen den Dingen die man ändern kann, und denjenigen, die sich nicht ändern lassen, und diese Gegebenheiten anzunehmen und zu akzeptieren. Im Vertrauen darauf, dass die eigenen Grundmauern immer bestehen bleiben werden, egal, wie stark der Orkan ist, der gerade rund um einen tobt.
Ich wünsche euch eine Woche voller Weichheit und Hingabe!
Daniela
8 kommentar
Liebe Daniela, vielen Dank für deine Offenheit und deine Verletzlichkeit. Wir alle haben diese Tage. Und es ist total mutig und berührend, dass du mit uns deine Herzensgeschichten teilst. Alles Liebe, Verena
PS: Hat mich sehr berührt!
Liebe Verena, ich danke Dir SEHR für Deine Zeilen! Es tut gut zu lesen, dass man nicht die einzige ist, der es manchmal so geht…:-)! Von Herzen alles Liebe für Dich und bis bald! Daniela
Hi Daniela, wieder mal sooooo schön geschrieben! Ich lieeeebe Deinen Blog, nehme mir Dein Buch immer wieder zur Seite, lese darin, koche nach und habe mir einzelne Sätze rausgeschrieben!
Vielen lieben Dank!
Christine
Liebe Christine, DAAANKE, das freut mich so!! Genau deswegen schreibe ich den Blog und die Bücher: damit wir uns beim Menschsein alle gegenseitig ein wenig unterstützen können. Dickes Bussi, Daniela
Liebe Daniela!
Vielen Dank für Deine soooo herzliche Offenheit! Bewundernswert, wie Du Deine so persönlichen Erkenntnisse mitteilst! Es stimmt, auch ich habe die Erfahrung gemacht, dass es nichts Wichtigeres gibt, als sich den Menschen, die einem am Herzen liegen auch wirklich zu widmen! Denn das sind die wahren Kraftquellen des Lebens! Viele erfüllte Stunden mit unseren „Herzensmenschen“ wünsche ich allen!
Herzlichst Bernadette
Liebe Bernadette, schön ist auch, dass man immer wieder neue „Herzensmenschen“ kennenlernt😊😊😊! Bis ganz bald hoffentlich und alles Liebe, Daniela
Danke für diesen ehrlichen und sehr berührenden Text, liebe Daniela!
Schön dass es DICH, deinen Blog und dein Buch gibt 😘.
Alles liebe und bis morgen,
Ilse
Liebe Ilse, ich danke Dir für Deine Zeilen und dafür, dass Du mich begleitest. Das bedeutet mir viel! Ich freue mich sehr auf morgen. Bussi, Daniela🌸