Immer wieder steht die Frage im Raum: Wie funktioniert eigentlich ein richtig guter Style?
Hm. Ich denke, dass das Wort „funktioniert“ an dieser Stelle schon einmal nicht ganz das passende ist. Guter Style „funktioniert“ nicht – guter Style ergibt sich. Im besten Fall spiegelt er die Entwicklung einer Persönlichkeit wider.
Die Art und Weise, den eigenen Stil zu finden, hat sich im Laufe der letzten Jahrzehnte meiner Meinung nach geändert. Als ich jünger (jung) war (ich bin 1976 geboren), entstand das, was wir heute als „Styling“ bezeichnen, mehr „von innen nach außen“.
Trends standen dabei nicht so sehr im Vordergrund, das Wort „Must Have“ gab es nicht.
Mein Stil und der Stil meiner Freundinnen war vor allem inspiriert von dem, was wir dachten und womit wir uns gerade beschäftigten. Wir wollten durch die Kleidung, die wir trugen, unserer inneren Haltung Ausdruck verleihen und der Welt zeigen, wer wir waren, wofür wir standen und wofür wir uns einsetzten und interessierten.
Eine eigene Meinung war mehr wert als ein toller Ohrring. Für seine Überzeugung einzustehen brachte mehr gutes Feedback als das Tragen der „richtigen“ Jeansmarke.
Für mich als Teenager waren Bücher und Musik ganz wichtig. Natürlich wollte ich auch möglichst gut aussehen, aber viel stärker als die Frage nach einem guten Styling trieb mich an, herauszufinden, wer ich eigentlich war und was ich vom Leben wollte.
Gute Laune und Spaß verwechselte ich manchmal mit Oberflächlichkeit, den gewissen Hang zur Melancholie fand ich chic.
Ich las Hesse, Kafka, Kundera, Böll, Bachmann und Thomas Bernhard, spielte Klavier, sang, besuchte klassische Konzerte und auch gerne einmal ein Theater und fühlte mich unglaublich intellektuell. Und ich wollte, dass die Welt das sah.
Alles, was ich anhatte, war Ausdruck meiner Gefühlswelt (meine Lieblingsfarben damals: Grau und Bordeaux) und meiner inneren Haltung.
Diese innere Haltung äußerte sich in einem sehr minimalistischen Styling. Ich war ein „Clarks und Pullover in Übergrößen – Mädchen“. Kurze Röcke, tiefe Ausschnitte und Lippenstifte fand man bei mir nicht. Alles, das auch nur im Geringsten im Verdacht stand, „tussimäßig“ zu sein, wäre für mich nie, nie, niemals in Frage gekommen.
Dies ist bitte sehr keine Ode an die „gute alte Zeit“. Ich wünschte, ich wäre damals nicht gar so verkopft gewesen und hätte beim Thema „Kleidung“ mehr Verspieltheit, Weiblichkeit und Humor zugelassen. Es war aber nun einmal so, wie es war – und das war weder besser oder schlechter als es heute ist.
Heute erfolgt die Stilbildung wahrscheinlich viel stärker „von außen nach innen“. Es gibt Instagram, Fashion Blogs, Newsletter, TV – Shows, in denen das Thema „Mode“ eine gewisse Rolle spielt und natürlich nach wie vor unzählige Magazine. Das alles existierte in der Zeit, in der ich jung war, nicht, bzw. nur in geringem Ausmaß.
Ich bin Lehrende an einigen Universitäten und Fachhochschulen und staune immer wieder darüber, wie attraktiv und stilmäßig angekommen die Mädchen mit Anfang 20 heute wirken. (Oje, jetzt klinge ich endgültig wie eine Omi!!). Sie sehen aus, als wüssten sie bereits recht genau, was ihnen steht und wie sie von ihrer Umwelt gesehen werden möchten. Das bewundere ich und das gefällt mir.
Im Übrigen finde ich, dass junge Menschen heute viel besser aussehen als wir damals.
Style entsteht durch Wissen.
Durch das Wissen um sich selbst, seine eigenen Wünsche, Träume, Talente, Ressourcen.
Style entsteht, wenn der ureigene Wesenskern mehr und mehr sichtbar sein darf.
Wenn wir den Mut haben, der Welt zu zeigen, wer wir tatsächlich sind und damit aufhören, uns so zu präsentieren, wie wir gerne sein würden.
Dazu kommt natürlich auch das Wissen um die Farben, die zu einem passen und die Schnitte, die die eigenen Vorzüge besonders gut zur Geltung bringen.
Letztendlich entsteht Style, wenn wir zwar über Farben, Formen und Make Up Bescheid wissen, uns aber gar nicht mehr so sehr damit beschäftigen.
Mein Stil ist heute ziemlich mühelos.
Weil ich mir nämlich in den letzten 20 Jahre große Mühe gemacht habe, herauszufinden, was zu mir passt und wer ich bin. Ich habe sozusagen ein hartes Stück Vorarbeit geleistet!
Heute, mit 40, habe ich meinen Stil gefunden. Ich bin mir meiner Selbst bewusst. Ich mag mich – und jedes einzelne Kleidungsstück in meinem Schrank. Die Teile, die sich nicht mit mir weiterentwickelt haben, habe ich längst verschenkt.
Ist dieser Punkt erreicht, wird man unabhängig von Trends.
Versteht mich nicht falsch: Ich finde Trends toll. Ich scrolle jeden Tag durch mein Instagram, ich lese Magazine. Aber ich weiß auch, dass all die Dinge, die ich hier sehe, relativ wenig mit mir und meinem Leben zu tun haben. Das ist eine große Erleichterung! Ich kann die diversen Schuhe, Pullover, Taschen, Sonnenbrillen, Hüte, Hosen,… toll finden – aber ich weiß genau, dass ich sie niemals kaufen werde. Nicht, weil sie mir nicht gefallen, sondern weil ich weiß, dass sie nicht zu mir passen.
Ein Kleidungsstück, das nicht zu einem passt, bereits vor dem Kaufen als ein solches zu identifzieren und nicht erst nachdem man dafür bezahlt hat und es traurig und alleingelassen im Kleiderschrank hängen sieht: So äußert sich das Wissen um den eigenen Stil. Das ist die Meisterschaft.
Den eigenen Stil zu finden und zu leben, ist ein Prozess. Ist man aber soweit, ist das Leben stiltechnisch ziemlich einfach. Und man spart eine Menge Geld.
Das man wiederum in etwas investieren kann, das man für lange Zeit lieben wird.
Der Perfektion sagen wir währenddessen ganz entspannt ADIEU
Frauen, bei denen von Kopf bis Fuß alles perfekt zueinander passt und denen ich anmerke, dass sie sich mit nichts anderem beschäftigen als mit aktuellen Trends, Mode und Shopping, interessieren mich eher weniger.
Spannend wird es für mich dann, wenn ich sehe, dass eine Frau ganz genau weiß, was ihr steht und wer sie ist. Wenn sie Haltung zeigt und nicht bloß Trendgespür. Wenn sie als Persönlichkeit durch die Welt geht und nicht als Shopping Queen.
Kundinnen, die noch auf der Suche nach „ihrem“ Stil sind, fragen mich manchmal, was sie denn tun könnten, um diesen zu finden.
Meine Antwort ist immer dieselbe: Hör dir zu. Beobachte dich. Finde deine Farben. Hör auf, dir zu viele Gedanken um deine Kleidung zu machen. Lass dich inspirieren. Lies Bücher. Mach dir Gedanken über das aktuelle Weltgeschehen. Hab eine Meinung. Nimm dich selbst nicht zu wichtig. Hör Musik. Geh ins Museum!
Geh ins Museum!
Museen sind ganz wundervolle Orte, wie gemacht, um dem eigenen Stil auf die Schliche zu kommen. Etwas zu betrachten, das größer ist als man selbst, ist für mich das Inspirierendste und Stilbildendste überhaupt.
Eine Ausstellung, die ich immer wieder besuche, ist die Egon Schiele – Sammlung im Leopold Museum in Wien.
40 Gemälde und ungefähr 180 Arbeiten auf Papier enthält die Ausstellung, sie ist somit die größte Schiele – Sammlung der Welt.
Die Schau führt durch das gesamte Leben Schieles, der ein wahres Genie gewesen ist. Obwohl ich die Ausstellung schon einige Mal gesehen habe, entdecke ich bei jedem Besuch ein neues Bild, das mich berührt oder ein neues Zitat, das etwas in mir zum Schwingen bringt.
Der Titel der Schau lautet übrigens: „Egon Schiele. Selbsthingabe und Selbstbehauptung“,. Das führt mich zu dem Beginn dieses Textes zurück: Alles, das sich wahrhaftig und kraftvoll im Außen zeigt, hat den Ursprung in der Beschäftigung mit dem Inneren.
Sei es die Kunst – oder das, was wir „den eigenen Style“ nennen.
Daniela
Fotos: Andrea Sojka www.soulpicture.at
Location: Leopold Museum Wien www.leopoldmuseum.org
Shirt und Rock: MICHÈL MAYER www.michelmayer.at